Stolpern, innehalten, erinnern

Stolperstein für Max Sax in München. Bild: Andreas Gregor

Stolperstein für den ermordeten Max Sax in in München. Bild: Andreas Gregor

Ich bin schon in vielen Städten über Stolpersteine „gestolpert“, habe innegehalten, habe der Menschen gedacht, denen die Steine gewidmet sind. Vor wenigen Jahren habe ich mich sehr geschämt, dass der Gemeinderat meines Heimatdorfes Stolpersteine auf Gemeindegrund ablehnte – explizit gegen der Willen von Angehörigen der ermordeten Juden Schonungens. (Mehr über diese peinliche und traurige Sache kann hier beim Schweinfurter Tagblatt nachgelesen werden.)

Heute habe ich mir wieder Gedanken über Stolpersteine gemacht. Der aktuelle Anlass: Dieser Text in der Süddeutschen Zeitung, in dem von einem Brief berichtet wird, den  Charlotte Knobloch an den Kulturreferenten (eine Art Stadtminister) von München geschrieben hat. Charlotte Knobloch, die in wenigen Wochen 82 Jahre alt wird, ist selbst Opfer des Holocaust. Die Präsidentin der (orthodoxen) Israelitischen Kultusgemeinde und ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland lehnt seit vielen Jahren Stolpersteine als Mittel des Gedenkens ab, da so die Namen der Opfer mit Füßen getreten würden.

Ich respektiere die Meinung von Charlotte Knobloch. Wenn ich die Meldung in der SZ lese, finde ich allerdings, dass sie sich im Ton vergreift.Vor zehn Jahren hat der Münchener Stadtrat beschlossen, dass in der bayerischen Landeshauptstadt keine Stolpersteine auf öffentlichem Grund verlegt werden sollen. Angesichts dessen, dass in vielen Städten Bayerns, Deutschlands und darüber hinaus Stolpersteine verlegt werden – oft explizit mit Unterstützung der jüdischen Gemeinden vor Ort – ist es wohl nur recht und billig, wenn auch der Münchener Stadtrat sich noch einmal damit beschäftigt. Und da werden nicht gleich Anträge gestellt und Debatten geführt, sondern es soll erstmal ein Hearing geben, bei dem natürlich auch Charlotte Knobloch als prominenteste Gegnerin der Stolpersteine gehört werden soll. Sie aber sieht in dem Hearing ein „würdeloses Schauspiel, das einige Profilneurotiker mühevoll und unerbittlich erzwungen“ hätten.

Nun kenne ich einige derjenigen, die sich für Stolpersteine auch in München einsetzen, ziemlich gut und halte sie nicht für Profilneurotiker und glaube auch nicht wie Knobloch, dass für sie die Stolpersteine ein „obsessives Kunstprojekt“ sind, sondern verstehe ihr Engagement als ernsthaftes Bemühen um eine nachhaltige Gedenkkultur im Alltag. Damit sind sie nicht alleine; offenbar gibt es ja viele Menschen, die Stolpersteine als würdige Art des Gedenkens empfinden – auch Opfer und Angehörige von Opfern des mörderischen Nationalsozialismus.

Ich war vor einigen Monaten, im Mai, bei der Verlegung eines Stolpersteins in München dabei – auf privatem Grund, auf öffentlichem ist es ja verboten. Es wurde ein Gedenkstein für einen Mann verlegt, der Opfer der sogenannten Euthanasie war – Ärzte ließen den als psychisch krank eingestuften knapp 70-jährigen Max Sax verhungern. Bei der Steinverlegung war auch ein alter Herr anwesend, ein Verwandter des Ermordeten. Er war extra angereist, um dabei zu sein und er war sehr bewegt und gerührt. Für ihn war diese Form des Gedenkens genau die richtige. Auch Menschen, die wie Knobloch selbst unmittelbare Opfer der Nazis waren, setzen sich für Stolpersteine ein, etwa Peter Jordan, ein Jude aus München, der 16-jährig nach Großbritannien floh – seine Eltern wurden ermordet.

Knobloch spricht weder für alle Opfergruppen – denn auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Behinderte, politisch Unbeugsame und viele mehr waren Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Noch spricht Knobloch für alle Juden, wie das Beispiel Peter Jordans zeigt; die Liberale Jüdische Gemeinde München übrigens begrüßt die Stolpersteine ebenso wie die Israelitische Kultusgemeinde Würzburg, deren Präsident Josef Schuster sich massiv für Stolpersteine stark macht (entsprechend sind in Würzburg bereits viele solcher Gedenksteine verlegt worden).

Ich hoffe, dass bei dem Hearing des Stadtrates beide Seiten zu Wort kommen und das Wort ergreifen und ich hoffe, dass der Stadtrat zumindest denjenigen Opfergruppen und Angehörigen, die explizit diese Form des Gedenkens wünschen, Stolpersteine auch auf öffentlichem Grund ermöglicht. Und vielleicht, irgendwann, traut sich auch mein Heimatdorf zu, über die eigene Vergangenheit zu stolpern und im Alltag innezuhalten im Gedenken an Menschen, die einst in Schonungen heimisch waren und dann brutal verschleppt und ermordet wurden.

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