Kategorie-Archiv: Erinnerungskultur

Unser Verpflichtung zum Antifaschismus

Bamberg Synagoge 1910

Im September 1910 eröffnete die neue Synagoge in Bamberg. Das Bamberger Tageblatt schrieb: „Konfessionelle Vorurteile, konfessionelle Einschränkungen in den verschiedenen Arten des öffentlichen Lebens gehören der Vergangenheit an; freuen wir uns deren Überwindung.“ Aber das war falsch. Der Antisemitismus war nicht überwunden. 

Nach dem „Großen Kriege“ – in dem 39 Bamberger Juden gefallen und 7 mit dem „Eisernen Kreuz“ 1. Klasse ausgezeichnet worden waren – wurde der Hass organisiert. Ab 1919 gab es eine Ortsgruppe des antisemitischen „Deutsch-völkischen Schutz- und Trutzbundes”. Ab 1923 gab es die NSDAP-Ortsgruppe, zu der Lorenz Zahneisen gehörte. Er wurde 1934 Oberbürgermeister von Bamberg und war als solcher für die Zerstörung der Synagoge verantwortlich. 

In der Nacht von 9. auf 10. November 1938 wurde die Synagoge geplündert und angezündet, Zahneisen war ganz vorne dabei. Die Feuerwehr durfte nicht löschen. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Willy Lessing, ehemaliger Soldat im 1. Weltkrieg, zwangsenteigneter Unternehmer, wollte die Torarollen retten. Er wurde erkannt, misshandelt, nach Hause verfolgt, seine Wohnung wurde angezündet. Zwei Monate später erlag er seinen Verletzungen.

Am Abend des 9. November 1938 gab es in Bamberg zwei NSDAP-Versammlungen. Anschließend zogen die Nazis erregt, wütend und heiter weiter zur Synagoge. Auch das jüdische Gemeindezentrum und die verbliebenen jüdischen Geschäfte wurden angegriffen. 

Fast 170 Juden Bambergs wurden verhaftet, im Gefängnis in der Sandstraße eingesperrt. Etwa die Hälfte von ihnen kam dann ins Konzentrationslager Dachau. Das Bamberger Tageblatt schrieb: „Nachdem sich noch mitten in der Nacht einige Juden, trotz der Erregung der erbitterten Menge, provozierend auf der Straße zeigten, war es eine dankenswerte Maßnahme der zuständigen Stellen, die männlichen Juden vorläufig in Schutzhaft zu nehmen.“ Die Juden waren selbst schuld, fand die Zeitung.

1948 wurde Zahneisen im Zuge der Entnazifizierung als „Mitläufer“ eingestuft, aber er sagte: „Ich wünsche nicht, als Mitläufer eingestuft zu werden. Ich war stets aktives Mitglied der Nazi-Partei.“ Mitläufer waren andere Bamberger und Bambergerinnen.

So wie meine Urgroßmutter, verwitwete Bäckersfrau, die Mitglied der NSDAP war, „das war damals eben so, sie musste ja, wenn sie die Bäckerei behalten wollte, sie war nur auf dem Papier Mitglied“.

Mein Urgroßvater (nicht der Mann der eben genannten Ahnin, sondern der spätere Schwiegervater ihrer Tochter) war in Bamberg bei der berittenen Polizei. Er hatte einen jüdischen Bekannten, den er einige Tage oder Wochen vor der Pogromnacht gewarnt hatte. Der Gewarnte floh mit seiner Familie tatsächlich. Er überlebte den Holocaust im Exil und stellte dem Urgroßvater (der im 1. Weltkrieg bei den Ulanen gekämpft hatte und mit einer Elsässerin verheiratet war) einen Persilschein aus. So konnte er nach 1945 Polizist bleiben.

Zurück zu Zahneisen, über den Goebbels schrieb: „Ich lerne prächtige Menschen kennen. Vor allem Zahneisen. Ein Rassetyp.“ Er war ein waschechter und stolzer Nazi. Wegen Landfriedensbruchs und Brandstiftung in der Pogromnacht 1938 wurde er 1949 verurteilt. Die vier Jahre „Zuchthaus“ saß er nicht ab. Er wurde schwer krank und starb nach vorzeitiger Entlassung 1950.

Der Mord an Willy Lessing blieb nicht ungesühnt. Die beiden Haupttäter Otto Körk und Hans Stadler wurden bereits im November 1946 zu sieben und sechs Jahren „Zuchthaus“ verurteilt. 1948 beschloss der Stadtrat von Bamberg, die Sophienstraße nach Willy Lessing zu benennen. Die Brauerei, die sein Vater gegründet hatte und die zwangsenteignet worden war, ging freilich nie an die Familie Lessing zurück. Heute gibt es die Brauerei nicht mehr.

Wer in Bamberg zwischen Luitpoldbrücke und Schönleinsplatz auf der Willy-Lessing-Straße unterwegs ist, der*die möge sich erinnern. 

Es waren ganz normale Menschen. Die, die starben. Und die, die töteten. Nach der Befreiung von der Naziherrschaft wurde das ganze Ausmaß des moralischen Versagens und des mörderischen Treibens offensichtlich. Wir Nachgeborenen sind nicht dafür verantwortlich, was damals geschah. Aber wir sind dem Gedenken verpflichtet und wir sind dafür verantwortlich, dass es nie wieder geschehen kann.

Das Grundgesetz ist eine antifaschistische Verfassung. Gegen jeden Antisemitismus, gegen Hass und Hetze aufzustehen, das ist unsere Verpflichtung, heute, morgen, immer.

#niemalsvergessen

Münchner Grüne rufen zu Solidarität mit Jüdinnen und Juden auf

JüdischesLebenHerzEntschieden ein Zeichen der Solidarität setzen wollen die Münchner Grünen angesichts der antisemitischen Übergriffe in den vergangenen Wochen und Monaten. Deshalb rufen die Münchner Grünen zur Teilnahme an der Kundgebung „Zusammenstehen gegen Antisemitismus“ am Freitag, 8. Juni ab 14.30 Uhr am St.-Jakobs-Platz auf.

„Deutschland und München erinnert sich sehr wohl unserer Geschichte. Ich finde es unerträglich, dass Einzelne immer wieder das gesellschaftliche Klima mit Übergriffen, mit Beschimpfungen und mit Gewalttaten zu vergiften versuchen. Angriffe auf Jüdinnen und Juden sind Angriffe auf unsere liberale Gesellschaft und auf die Grundwerte unserer Demokratie. Deshalb ist die Kundgebung ein wichtiges Signal, wir zeigen, dass München zusammensteht“, so die Spitzenkandidatin der bayerischen Grünen für die Landtagswahl und Fraktionsvorsitzende im Landtag Katharina Schulze.

„2017 gab es in Bayern insgesamt 148 antisemitische Straftaten und leider ist die Aufklärungsrate gering. Der Fahndungs- und Ermittlungsdruck muss erhöht werden, genauso wie Präventionsmaßnahmen. Allen Menschen, die Opfer antisemitischer Gewalt geworden sind, gebührt unsere Solidarität.“, so Schulze, die eine ausführliche Anfrage zu antisemitischen Straftaten an die Bayerische Staatsregierung gestellt hat.

„Antisemitismus kommt manchmal ganz offen und unverhohlen daher, manchmal aber auch ganz subtil. Auch der leise Antisemitismus muss aber erkannt, benannt und bekämpft werden. Kein Fußbreit Platz dürfen wir Anfängen und Relativierungen irgendeiner Art von Antisemitismus gewähren“, so der Vorsitzende der Münchner Grünen Sylvio Bohr. „Antisemitismus hat in unserem München keinen Platz. Das zeigen wir am 8. Juni – mit oder ohne Kippa.“

Seine Co-Vorsitzende Gudrun Lux ergänzt: „Der 8. Juni ist ein Tag der Erinnerung und der Mahnung. An diesem Tag vor genau 80 Jahren wurde der Abriss der damaligen Münchner Hauptsynagoge verfügt. Fast jeden Tag fahre ich mit dem Rad am neuen jüdischen Zentrum am St.-Jakobs-Platz vorbei. Dass jüdisches Leben heute wieder im Herzen der Stadt einen Platz hat, ist bedeutend und richtig. Die gesamte Münchner Stadtgesellschaft muss dafür einstehen.“

Gedenken

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Peter Jordan (Mitte) erinnert an seine von den Nationalsozialisten aus München deportierten und ermordeten Eltern. Für sie ließe er in der Mauerkircherstraße – wo sie zuletzt lebten – gerne (erneut) Stolpersteine verlegen. Ich schäme mich, dass diesem Herrn sein Anliegen in unserer Stadt verwehrt wird.

 

CSU und SPD verbieten Stolpersteine erneut

Ich bin sehr traurig über die Entscheidung des Münchner Stadtrats, Stolpersteine in München auf öffentlichem Grund auch weiterhin zu verbieten.

Ich respektiere, wenn Menschen eine bestimmte Art des Gedenkens für sich ablehnen. Ich wünsche mir aber, dass anerkannt wird, dass andere Menschen sich explizit Stolpersteine für ihre Angehörigen wünschen – und dass man diesen anderen Menschen eben diese Art des Gedenkens nicht verbietet.

Es ist erschreckend, dass CSU und SPD die Abstimmung über diese sensible und viel diskutierte Frage nicht freigegeben haben, sondern Fraktionszwang herrschte und somit Stadtratsmitglieder gegen ihre Überzeugung abgestimmt haben. Das ist falsch.

80.000 Namen für Stolpersteine

80.000 Menschen stehen mit ihrem Namen gegen das Stolperstein-Verbot in München. Gestern hat die Münchener Initiative für Stolpersteine die Namen der Unterstützerinnen und Unterstützer eindrucksvoll auf dem Königsplatz aufgerollt. Die Petiton kann nach wie vor auf change.org unterschrieben werden.

SPD und CSU wollen das Verbot erneuern

80.000 Unterschriften, ausgerollt am Königsplatz. Bild: Andreas Gregor.

80.000 Unterschriften, ausgerollt am Königsplatz. Bild: Andreas Gregor.

Der Stand der Dinge: Die Fraktionen von SPD und CSU wollen die Stolpersteine auf öffentlichem Grund erneut und weiterhin verbieten – die SPD-Fraktion stimmt hier übrigens gegen die Mehrheit der eigenen Partei. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, ein engagierter Befürworter der Stolpersteine, hat sich gegen das bestehende absolute Verbot in München ausgesprochen. Auch die Vertreter anderer Opfergruppen, etwa der Sinti und Roma oder der Homosexuellen, setzen sich für Stolpersteine ein.

Charlotte Knobloch, ehemalige Zentralratspräsidentin und noch immer Präsidentin der Münchener Kultusgemeinde, ist eine Gegnerin der Stolpersteine, da sie meint, so würden die Namen der Opfer mit Füßen getreten. Selbst in der Kultusgemeinde ist das umstritten. SPD und CSU im Rathaus haben vor gut 10 Jahren Stolpersteine in München verboten und zwei bereits verlegte Steine herausgerissen. Verlegt worden waren diese für die Eltern von Peter Jordan, die ermordet worden waren – als Juden. Peter Jordan, selbst Jude aus München, der aber als Kind nach England fliehen könnte, setzt sich seither (wie viele andere Verwandte Ermordeter) für das erneute Verlegen der Steine ein.

Wir versündigen uns an den Überlebenden

Meine Position: Ich respektiere, dass Frau Knobloch die Stolpersteine ablehnt, halte es aber für falsch, Stolpersteine grundsätzlich auf öffentlichem Grund zu verbieten. Die Stadt soll Stolpersteine nicht fördern oder selbst verlegen, sie soll lediglich das Verbot aufheben und nicht wie geplant erneuern. Selbstverständlich sollten Stolpersteine dann nicht verlegt werden, wenn überlebende Nachfahren, Angehörige oder die entsprechende Opfergruppe sich dagegen verwahrt. Dort wo es anders ist aber, versündigen wir uns an den Menschen, die noch leben, wenn wir ihnen die Form des Gedenkens verwehren, die sie selbst wünschen. So wie die Stadt Peter Jordan Unrecht tut, der sagt, an dem Tag, an dem die Steine für seine Eltern entfernt worden seien, habe es sich für ihn angefühlt, als seien seine Eltern erneut deportiert worden.