Nur wo Kinder selbstverständlich sind, können es auch Eltern sein

Bild: Andreas Gregor

Bild: Andreas Gregor

Letztens meckerte mich ein älterer Mann an, weil die beiden Kinder, mit denen ich unterwegs war, in der S-Bahn fröhlich „Bruder Jakob“ trällerten: „Wir sind hier nicht im Kindergarten!“ Sicherlich wäre ihm die konkrete Alternative, dass die gelangweilten Kinder quengeln, auch nicht lieber gewesen. Sollte ich also mit ihnen zu Hause bleiben, damit sie niemanden stören?

Natürlich nicht. Denn sowohl Eltern als auch Kinder haben das Recht, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Das gilt für die S-Bahn und den öffentlichen Raum, es gilt aber auch für Geschäfte, Tagungen und Büros.

Wer Kinder hat und sich raus wagt in die Welt, weiß: Eltern brauchen Unter- stützung statt Gemecker, Besserwisserei oder Augenrollen. Denn nur dann können sie tatsächlich am Leben außerhalb von Heim und Herd teilnehmen. Das gilt insbesondere für Frauen, die in der Regel nach wie vor mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Es ist kein Zufall, dass Frauen sich vor der sozialen Isolation und dem oft unabwendbaren Karriereknick fürchten, die das Kinderkriegen mit sich bringt.

In ihrem Text „Gebt mir all eure Windeln!“ nennt Sarah Diehl, selbst bewusst kinderlos, die Kleinfamilie einen „historischen Unfall“. Sie schreibt: „[Dieser Unfall] ist erstens eine Folge aus der Effizienzanforderung am Arbeitsplatz, der Industrialisierung und Verstädterung zum Zweiten und einer sexistischen Pädagogik, die zur strikten Teilung zwischen privatem und öffentlichem Raum führte, zum Dritten.“

Nun sind wir Grüne der Meinung, dass Männer und Frauen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, Politik und Wirtschaft gleichermaßen mitgestalten sollten. De facto sehen wir, dass insbesondere Frauen, die Kinder haben, sich zurückziehen – scheinbar zurückziehen müssen. Auch, weil Familie nicht selbstverständlich ist.

Wir müssen diese Herausforderung auf vielen Ebenen anpacken. Gesell- schaftlich, sozusagen klimatisch: Wir brauchen eine Willkommenskultur für Kinder und ihre Eltern. Aufmerksam sein, mit anpacken, Hilfe anbieten – und sich bitte nicht über singende Kinder beklagen!

Wir wissen um die Herausforderung für Eltern im Berufsleben. Es zerreißt
sie oft schier, weil sie nicht allen gerecht werden können. Damit insbesondere Mütter nicht die berufiche Vollbremsung oder gar der Abstieg droht, einfach nur, weil sie Mütter werden, braucht es dringend Veränderungen, wo immer möglich nicht nur in der Firmenkultur, sondern auch rechtlich einklagbar.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen besondere Rücksicht und Freiräume, wenn sie kleine Kinder haben. Da geht eine Besprechung am späten Nachmittag eben nicht – oder nur, wenn auch das Krippenkind willkommen ist. Bei Tagungen, Seminaren und Veranstaltungen müssen Eltern als solche mitgedacht werden. Es braucht Betreuungsangebote und Rückzugsräume, Unterstützung und Toleranz. Denn sonst bleibt Eltern oft nur die Wahl, ihre Kinder „unsichtbar“ zu machen – falls sie eine Betreuung finden – oder selbst „unsichtbar“ zu sein, nämlich abwesend.

Ein Unternehmen, aber auch beispielsweise Behörden müssen Mitarbei- ter*innen besonders unterstützen, wenn sie Kinder haben und sie selbstverständlich fördern und befördern, auch wenn sie in Teilzeit arbeiten, im Homeoffice tätig sind oder mal die Kinder mitbringen, Elternzeit nehmen oder eben einfach nicht rund um die Uhr zu Verfügung stehen.

Auch in unserer Parteiarbeit können und müssen wir die Bedürfnisse von Familien ernst nehmen und versuchen, ihnen gerecht zu werden. Eltern-Sein darf nicht vom politischen Engagement, vom Parteiamt oder der parteiinternen Mitbestimmung ausschließen. Und ja: Babys können hervorragend im Parteibüro gewickelt und gestillt werden, wir bieten Kinderbetreuung etwa bei der ganztägi- gen Stadtversammlung und wissen: Wer ein kleines Kind zu Hause hat, wird in der Regel nicht drei Abendtermine in Folge absolvieren.

Unlängst war ich in Düsseldorf. Ich wurde am Bahnhof abgeholt, in der Tram standen mein Gastgeber mit seinem Sohn und ich vor dem Stempelautomaten. Ich, entschuldigend, zum Herrn hinter mir: „Oh, wir stehen im Weg.“ Der Herr: „Niemand steht hier im Weg, schon gar nicht jemand mit einem Baby.“ Ich stempelte für den Herrn. Wir lächelten.

Dieser Text war ursprünglich in einer Kurzfassung ein Standpunkt für katholisch.de und erscheint in der Langfassung im Mitgliedsmagazin der Münchner Grünen GRETA Dezember 2016.

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