Kategorie-Archiv: Familie

Schnullermädchen

Ist nur eine kleine Episode, aber doch bezeichnend.

Wenn meine Tochter, anderthalb, einen Schnuller hat, dann will ihr fast dreijähriger Cousin auch einen – obwohl er den sonst nur noch zum Einschlafen nimmt. Kommt eine Frau aus der angeheirateten Verwandtschaft und entspinnt sich folgender Dialog:

  • Sie zum Buben: „Das hab ich ja schon lange nicht mehr gesehen, du brauchst doch keinen Schnuller mehr!“
  • Ich: „Naja, wenn die kleine Cousine zu Besuch ist und einen hat, dann will er seinen halt ausnahmsweise auch mal.“
  • Sie zu meinem Neffen: „Ach, die ist doch ein Määäädchen, deshalb braucht die den, aber du bist doch ein Bub!“
  • Ich, diplomatisch: „Sie ist halt noch viel kleiner.“
  • Sie: „Ja, aber es ist doch ein gutes Argument, dass sie ein Mädchen ist und er ein Junge.“
  • Ich, ruhig: „Nein, das ist ein ziemlich dämliches Argument.“
  • Sie lacht komisch und verabschiedet sich schnell.

Gut allerdings, dass mein Vater, über 70, am Abend beim Wein darauf zurückkam und sprach: „Gut, dass du (also ich) was gesagt hast, sonst wär‘ ich explodiert!“

Papa kann das

Ich bin jetzt mal weg. Irritierend ist, dass selbstverständlich davon ausgegangen und formuliert wird, dass es für meinen Mann eine besondere Herausforderung sei, also eine viel größere als es umgekehrt für mich wäre, ein paar Tage mit dem Kind allein zu sein. Da wird ein bisschen spöttisch gelacht und sowas gesagt wie „da siehst du mal wie das ist“, manche fragen, ob ich ihn denn „gut instruiert“ habe (Hallo??? Er ist der Vater???), andere bemerken auf ein „Nö, das ist kein Ding“ erklärend: „Naja, aber *normalerweise* kümmerst *du* dich ja mehr“ (Nein. Schon diese Annahme ist falsch. De facto ist es tatsächlich eher umgekehrt, wenngleich wohl noch einigermaßen ausgeglichen.)

Traut den Väter mehr zu, liebe Leute, zwingt sie nicht zu erklären oder gar zu rechtfertigen, dass sie wickeln, kitzeln, spielen, füttern, kochen und ein Kind ins Bett bringen können.

Ich bin das Kind eines Flüchtlingskindes

<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%BCbezahl">Rübezahl</a> ist der Berggeist des Riesengebirges. Hier der Titel eines Kinderbuchs etwa aus den 1960er Jahren. Die Illustration ist von <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Anton_M._Kolnberger">Anton Kolnberger</a>.

Rübezahl ist der Berggeist des Riesengebirges. Hier der Titel eines Kinderbuchs etwa aus den 1960er Jahren. Die Illustration ist von Anton Kolnberger.

Statt Wiesnauftakt Familienbesuch in Franken. Ich sitze bequem im Zug, da fällt mir ein: Als mein Vater etwa so alt war wie meine kleine Tochter jetzt ist, war er in einem Zug auf der Flucht – mit seiner Mutter und seinen vier großen Geschwistern raus aus Schlesien. Der Vater, mein Großvater, blieb dort. Zunächst zwangen ihn die Nazis dazu, dann geriet er in Gefangenschaft. Erst Jahre später kam auch er nach Franken.

Als wir Kinder waren, drängten wir unseren Vater oft, uns Geschichten zu erzählen „als er klein war“. Viele davon berichteten von der Zeit als ungeliebte Flüchtlingen auf einem fränkischen Bauernhof. Ich muss die Geschichten mal aufschreiben, nehme ich mir jetzt vor.

Wenn mein Vater schimpft, dann auf Schlesisch. Manchmal schleichen sich auch bei meinen Geschwistern und mir noch schlesische Wörter ein.

Das Riesengebirgslied singe ich meinem Kind zum Einschlafen vor: „Blaue Berge, grüne Täler, mittendrin ein Häuschen klein. Herrlich ist dies Fleckchen Erde, denn da bin ich ja daheim.“ Ich war noch nie im Riesengebirge.

Ich bin das Kind eines Flüchtlingskindes. Wie viele von uns. Heute kommen wieder Menschen in großer Not und Verzweiflung zu uns. Ich will alles dafür tun, dass ihre Kinder wenn sie wollen so selbstverständlich hier eine Heimat haben wie ich selbst.

Valerie

valerie_onlineWir freuen uns über die Geburt unserer Tochter
Valerie Laura Dagmar Lux
am 29. Juni 2014 in München.
Florian Roth und Gudrun Lux