Monatsarchiv: September 2015

Zum Vorwurf der Emotionalität

Horst Seehofer: „Es kann nicht sein, dass die einen für die Moral und die Menschlichkeit zuständig sind und die anderen für die Arbeit.“ – Alexander Burger antwortet zu Recht: „Es kann nicht sein, dass die einen für Moral und Menschlichkeit zuständig sind und die anderen der Meinung sind, das geht sie nichts an.“

Ein Gegensatz, der von der einfachen Facebookdiskussion bis zum öffentlichen CSU-Statement vor Kameras zu lesen und zu hören ist: Da seien auf der einen Seite die „naiven“ „emotionsgeladenen“ „Gutmenschen“ – damit sind wir gemeint, die Flüchtlingen helfen, die Chancen eröffnen wollen, die zupacken, statt sich abzuwenden – und auf der anderen Seite die „rationalen“ „vernünftigen“ Politiker/Leute, die in sich Gedanken machen über die Zukunft und die weder naiv noch emotional seien.

Mit Verlaub, meine Herren (jaja, in der Mehrheit sind es Herren), aber: Mitgefühl und Vernunft schließen einander gar nicht aus. Wer ohne Moral und Menschlichkeit Politik macht, der macht’s verkehrt. Wer ohne Mitgefühl auf das Leid der Menschen antwortet, dessen Christentum ist Pharisäertum, dessen Politik ist Zynismus.

Humanitäte Hilfe – let’s call it Nächstenliebe – jetzt.

Ich bin das Kind eines Flüchtlingskindes

<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%BCbezahl">Rübezahl</a> ist der Berggeist des Riesengebirges. Hier der Titel eines Kinderbuchs etwa aus den 1960er Jahren. Die Illustration ist von <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Anton_M._Kolnberger">Anton Kolnberger</a>.

Rübezahl ist der Berggeist des Riesengebirges. Hier der Titel eines Kinderbuchs etwa aus den 1960er Jahren. Die Illustration ist von Anton Kolnberger.

Statt Wiesnauftakt Familienbesuch in Franken. Ich sitze bequem im Zug, da fällt mir ein: Als mein Vater etwa so alt war wie meine kleine Tochter jetzt ist, war er in einem Zug auf der Flucht – mit seiner Mutter und seinen vier großen Geschwistern raus aus Schlesien. Der Vater, mein Großvater, blieb dort. Zunächst zwangen ihn die Nazis dazu, dann geriet er in Gefangenschaft. Erst Jahre später kam auch er nach Franken.

Als wir Kinder waren, drängten wir unseren Vater oft, uns Geschichten zu erzählen „als er klein war“. Viele davon berichteten von der Zeit als ungeliebte Flüchtlingen auf einem fränkischen Bauernhof. Ich muss die Geschichten mal aufschreiben, nehme ich mir jetzt vor.

Wenn mein Vater schimpft, dann auf Schlesisch. Manchmal schleichen sich auch bei meinen Geschwistern und mir noch schlesische Wörter ein.

Das Riesengebirgslied singe ich meinem Kind zum Einschlafen vor: „Blaue Berge, grüne Täler, mittendrin ein Häuschen klein. Herrlich ist dies Fleckchen Erde, denn da bin ich ja daheim.“ Ich war noch nie im Riesengebirge.

Ich bin das Kind eines Flüchtlingskindes. Wie viele von uns. Heute kommen wieder Menschen in großer Not und Verzweiflung zu uns. Ich will alles dafür tun, dass ihre Kinder wenn sie wollen so selbstverständlich hier eine Heimat haben wie ich selbst.

Die internationale Presse schaut nach München und ich darf auch was sagen

Etwas aufregend: Die BBC hat mich um ein Statement zu Migration gebeten. Wer sich anschauen will, was dabei rauskam, kann den Beitrag EU migrant crisis: Why Germany still welcomes migrants hier sehen. Da fällt mir ein, unlängst hat mich auch die Washinton Post im Artikel Pope calls on Europe’s Catholics to take in refugees zitiert.

#EuropaOhneGrenzen

Die Bundesregierung hat gestern verkündet, dass vor allem zu Österreich wieder Grenzkontrollen eingeführt werden. Tausende Bundespolizisten werden dafür eingesetzt. Es drängt sich die Frage auf, warum es genug Polizei gibt um Grenzen abzuriegeln, aber nicht genug da waren um in Heidenau und anderswo Menschen zu schützen. Auch wir ehrenamtliche Helferinnen und Helfer in München – an der Messer, am Hauptbahnhof oder sonstwo – wundern uns freilich, warum wir Decken und Wasser tragen oder Betten aufbauen mussten – da gab es nicht genug Staatsdiener, die das konzertiert erledigen konnten. Das jetzt genug Leute da sind scheint doch zu zeigen, wes Geistes Kind unsere Regierungen in Berlin und München sind. ‪#‎EuropaOhneGrenzen‬

Decken für Geflüchtete

Manchmal ist es einfach: Gestern abend im Hausflur einen Zettel ausgehängt und die Nachbarn gebeten, Schals und Decken auszusortieren, gegebenenfalls auch warme Männerschuhe – das fehlt am Hauptbahnhof zur Zeit allabendlich, denn viele Flüchtlinge kommen nur leicht bekleidet in München an. Heute kam eine Nachbarin mit einem großen Sack voller Schals und Decken und zwei paar Winterschuhen ihres Mannes vorbei, dankbar dafür, dass ich das an die richtige Stelle bringe. Heute abend fahre ich damit zum Hauptbahnhof.